Gedenken


Wie schon in den vergangenen Jahren organisierten wir als „Laskerkiez“ in diesem Jahr einen Stolpersteinrundgang rund um den Lasker- und Rudolfkiez. Während wir die Veranstaltung in vorangegangenen Jahren immer im halböffentlichen Nachbarschaftskreis durchführten, entschieden wir uns in diesem Jahr für eine öffentliche Mobilisierung. Warum? Weil wir das Gefühl hatten, dass dies angesichts des rapiden Anstiegs antisemitischer An- und Übergriffe, insbesondere aufgrund des schwelenden Nahostkonflikts, dringend geboten ist. Auch im Laskerkiez war es zu antisemitischen Markierungen mit Davidstern an Häusern gekommen. Aber auch darüber hinaus hielten wir es für relevant mehr Menschen auf die Ereignisse vor 85 Jahren, in der Reichspogromnacht, hinzuweisen und zu sensibilisieren.

Zu unserer großen Verwunderung erschienen rund 60 Menschen aus unserer Nachbarschaft am angekündigten Treffpunkt, darunter auch viele Familien mit Kindern. Eine viel größere Anzahl als wir zunächst erwartet hatten. Gemeinsam besuchten wir 19 Stolpersteine in unserem Kiez und verlasen teils mehr, teils weniger gekürzte Informationen und Biografien der Deportierten, sofern diese bekannt waren. An einer Stelle sangen wir zusammen das Lied „Die Moorsoldaten“.  Unter den Personen, denen mit einem Stolperstein gedacht wird befanden sich nicht nur Jüd*innen, sondern auch kommunistische Widerstandskämpfer*innen (wie z.B. Paul Schiller für den wir bereits eine eigene Kundgebung organisiert haben) oder auch Mitglieder der Zeugen Jehovas. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle das Engagement von Nachbar*innen, die bereits im Vorfeld Infos zu einigen Stolpersteinen recherchiert hatten, die sich online nicht fanden. Auch wurden wir von Betreibenden des Bluesky Accounts @keinverblassen.bsky.social auf weitere Stolpersteine aufmerksam gemacht, die wir selbst nicht recherchiert hatten und die teils nicht online verzeichnet waren. Daher wird der Stolpersteinrundgang im nächsten Jahr noch Mal ergänzt und ausführlicher.

Nach knapp 2 Stunden war der Rundgang beendet. Nachbar*innen bedankten sich und nutzen die anschließende Zeit zum gemeinsamen Austausch und zum Kennenlernen.

Wir denken: Damit das „Nie Wieder“ auch wirklich ein „Nie wieder“ bleibt, müssen wir auf die Vergangenheit aufmerksam machen und aus ihr lernen. Antisemitische Kontinuitäten sollten aufgezeigt werden und wir müssen uns gemeinsam als Nachbarschaft mit allen Mitteln dagegen wehren. Rassismus und Antisemitismus dürfen dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden, wie es gerade große Teile des öffentlichen Diskurses prägt.

Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden und möchten mit diesem kleinen Nachbereitungstext weitere Nachbarschaftsgruppen motivieren eigene Spaziergänge zu unternehmen. Insbesondere auch abseits der großen Gedenkdemonstration in Berlin-Moabit. Mit unserer Aktion haben wir vermutlich mehr Nachbar*innen erreicht, die ansonsten zu keiner Demonstration in einem anderen Teil in Berlin gekommen wären. Wir sehen es als unsere Aufgabe, unsere Kieze und unsere Nachbarschaft zu politisieren und vor Ort gemeinsam Aktionen zu organisieren.

Gedenken


09.11.23 – 18 Uhr – Corinthstraße 50, 10245 Berlin

„Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen.“ 
Ausschwitz-Häftling Primo Levi 1919 – 1987
 
Mit der Reichspogromnacht vom 09. November 1938 begannen die größten Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden seit Beginn der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Deutschland. Hunderte wurden ermordet und verschleppt, ihre Habseligkeiten geplündert, ihre Synagogen, Geschäfte und Wohnungen angegriffen und zerstört. Die Pogrome markierten den Übergang von der Diskriminierung gegen die deutschen Juden ab 1933 hin zu ihrer systematischen Vertreibung und Unterdrückung. 
 
Am 85. Jahrestag wollen wir gemeinsam mit Nachbar*innen Stolpersteine im Kiez putzen und die Biografien der Deportierten verlesen. Die Stolpersteine werden auch zum Gedenken an Widerstandskämpfer*inn, Sinti und Roma sowie Zeugen Jehovas und andere Minderheiten bundesweit verlegt. 
 
Im Zuge des aktuellen Krieges im Nahen Osten werden Juden nicht nur durch den Terror der Hamas, sondern auch durch Unterstützer*innen hierzulande zum Feind auserkoren. Antisemitismus erlebt einen neuen Aufstieg. Selbst hier im Laskerkiez wurden Häuser kürzlich mit Davidsternen markiert, wie in der damaligen Reichspogromnacht. Das wollen wir als Nachbarschaft nicht hinnehmen! Schließt euch an und gedenkt mit uns den Ermordeten und Deportierten!

Gedenken


Am 1. August 1933 wurde der Antifaschist und Jungkommunist Bruno Schilter im SA-Keller „Keglerheim“ (heute Petersburger Straße 94) schwer misshandelt und anschließend an der „Schwarzen Brücke“ (Thaerstraße) mit fünf Kopfschüssen ermordet. Zum 90ten Jahrestag seiner Ermordung wollen wir Bruno Schilter am Ort seiner Misshandlung gedenken. Im Anschluss wollen wir auch vor der Richard-Sorge-Straße 16, wo Schilter wohnte, Blumen niederlegen. So wollen wir als Stadtteilgruppen, die bereits in der Vergangenheit gedenkpolitische Veranstaltungen organisierten, verhindern, dass ein Antifaschist, der für seinen Kampf gegen den NS ermordet wurde, vergessen bleibt.

Mit dem Gedenken wollen wir auch auf eine Gegenwart aufmerksam machen, in der rechte und rechtsoffene Läden und Räume eine Bedrohung für Antifaschist*innen und alle Menschen sind, die nicht in das rechte Weltbild passen. Auch in Friedrichshain und Umgebung kommt es immer wieder zu rassistischen, queer- und frauenfeindlichen sowie antisemitischen Vorfällen. Wir wollen aber auf der Kundgebung auch an den jahrelangen antifaschistischen Widerstand erinnern, der beispielsweise dafür sorgte, dass ein rechtsoffener Thor-Steinar-Laden nahe dem Ort, an dem Bruno Schilter misshandelt wurde, nach kurzer Zeit schließen musste.

Erinnern heißt Kämpfen!

Kundgebung: 1. August 2023, 18 Uhr,

Petersburger Str. 94, (nahe Besarinplatz) 10247 Berlin,

Stadtteilinitativen:
Wir bleiben alle Friedrichshain
und „Wem gehört der Laskerkiez?

Gedenken


Gedenkkundgebung: 16.02.2023 – 17:30 Uhr Mildred-Harnack-Str. (10243, S+U Warschauer Straße)

Am 16. Februar 1943 wurde Mildred Fish-Harnack im Zuchthaus Plötzensee durch „Enthauptung“ ermordet. 80 Jahre später wollen wir der antifaschistischen Widerstandskämpferin gedenken, die eine zentrale Rolle in der Roten Kapelle gespielt hat.

 

Wir wollen mit der Kundgebung an dieses weitverzweigte Netz von Gegner*innen des Naziregimes erinnern, das in der Nachkriegszeit in der BRD als Spionagegruppe für die Sowjetunion weiterhin ausgegrenzt wurde, während alten Nazis die Integration in den Vorläufer des BND, die „Organisation Gehlen“, gelang.  Die vielfältigen Widerstandsaktionen der Roten Kapelle wurden verleugnet. Schließlich wollen wir mit Mildred Harnack an die bedeutende Rolle der Frauen im Widerstand gegen den NS im Allgemeinen und in der Roten Kapelle im Besonderen erinnern.

 

Mildred Fish-Harnack wurde am 16.9.1902 in Wisconsin/USA geboren. An der Universität lernte sie ihren späteren Ehemann Arvid Harnack kennen, mit dem sie 1929 nach Deutschland zog und der ebenfalls als Mitglied der Roten Kapelle bereits am 22.12.1942 in Plötzensee hingerichtet wurde.

 

Wir gedenken Mildred Fish-Harnack als Kämpferin, die sich entschieden hatte, dem NS-Regime Widerstand zu leisten. Sie und ihre Mitkämpfer*innen sind für uns heute Inspiration, die Erinnerung an sie ist uns antifaschistische Verpflichtung.

Gedenkkundgebung: 16.02.2023 – 17:30 Uhr Mildred-Harnack-Str. (10243, S+U Warschauer Straße)

Gedenken


Am 22. April erinnerten in Berlin-Friedrichshain Stadtteilinitiativen gemeinsam mit der VVN-BdA an die vergessenen Kämpfer*innen der Kampfgruppe Osthafen und schrieben so die Widerstandsgeschichte weiter

„Der Krieg was vorbei, da war Stille im Land,

da waren die Lautesten leis,

sie nahmen das Hitlerbild von der Wand,

ihre Westen, die wuschen sie weiß.“

Aus Song: 3 Rote Pfiffe, Schmetterlinge

Diese Stille im Land verschlang auch die wenigen Antifaschist*innen, die aus einer Position der absoluten Minderheit dabei halfen, den Nazikrieg in letzter Minute zu beenden. Dazu gehörte auch Paul Schiller. Für ihn organisierten am 22. April 2022 die VVN-BdA und die Stadtteilinitativen „Wir bleiben alle Friedrichshain“ und „Wem gehört der Laskerkiez?“ eine Gedenkveranstaltung und hoben ihn aus dem Dunkel der Geschichte. Es war einem Zufall zu verdanken, dass Mitglieder der Stadtteilinitiative auf einen Stolperstein stießen, den die „Verfolgten des Naziregime“ (VdN), der DDR-Organisation der Widerstandskämpfer*innen, am ehemaligen Wohnort von Paul Schiller in der Rochowstraße in Berlin-Friedrichshain gestalten ließen, allerdings mit einen falschen Datum. Dort wird seit Todestag irrtümlich um ein Jahr auf 1944 vorgelegt. Dabei wird das Entscheidende der Widerstandstätigkeit von Schiller und Genoss*innen verkannt, die in den letzten Tagen des NS-Regimes verhindern wollten, dass weitere Menschen sterben. Die Männer und Frauen, die vor allem Süden des Berliner Stadtteils Friedrichshain Ende April 1945, also vor 87 Jahren aktiv waren, nannten sich Kampfgruppe Osthafen, nach einem damals bekannten Hafengelände in dem proletarischen Gebiet. Sie setzte sich aus Mitgliedern der KPD, der SPD und Parteilosen zusammen, die im Nationalkomitees »Freies Deutschland« organisiert waren. Sie sprangen mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien und erhielten die Aufgabe, in der Reichshauptstadt wichtige militärische Objekte zu erkunden und Kontakte zur deutschen Widerstandsbewegung herzustellen, sowie Menschen, in letzter Minute zu überzeugen, die Seiten zu wechseln und nicht weiter für einen verbrecherischen Krieg ihr Leben zu lassen.

Deutsche Volksgemeinschaft bis zur letzten Minute

Doch sie trafen weiter auf ein Land, in dem die deutsche Volksgemeinschaft bis in die letzten Tage des NS-Regimes funktionierte. Daher waren sie sofort in großer Gefahr. Eine Gruppe, darunter der Sozialdemokrat Heinz Nawrot, geriet am 11. April 1945 in Lichtenberg in eine SS-Kontrolle und wurde in einem Feuergefecht am Weißenseer Weg völlig aufgerieben. Paul Lampe und Heinz Müller, Ende Februar 1945 mit einer Einsatzgruppe des Nationalkomitees »Freies Deutschland« illegal nach Berlin gekommen, organisierten im Stadtbezirk Friedrichshain die bewaffnete Kampfgruppe Osthafen, der rund 50 kommunistische und sozialdemokratische Genoss*innen sowie parteilose Antifaschist*inne angehörten. Von ihrem Stützpunkt in der Stralauer Allee 24 entwaffneten sie fanatische Nazis, überredeten deutsche Soldat*innen und Flakhelfer*innen dazu, die Waffen niederzulegen. Sie sprengten faschistische Munitionslager und verhinderten im letzten Augenblick die Zerstörung der großen Lebensmittelmagazine am Osthafen. Bei einer solchen Aktion ließen die Antifaschisten Fritz Fieber und Paul Schiller am 23. April 1945 ihr Leben. Darüber gab es in der DDR einen Bericht von einen der Überlebenden, der in dem 1975 im Dietz-Verlag veröffentlichten Buch „Kampftage in Berlin- Ein deutscher Antifaschist und Internationalist berichtet“ abgedruckt ist. Daraus wurde während der Gedenkveranstaltung Auszüge vorgelesen wurden. Sehr berührend beschreibt der Autor den Moment, als er vom Tod seiner beiden Mitstreiter erfuhr:

„Genosse Schiller lag leblos auf der Couch. Wir fühlten seinen Puls und bemühten uns, seinen Herzschlag zu hören. Vergeblich. … In diesen Minuten verspürte ich die Schwere der Verantwortung, die auf uns lastete, besonders deutlich. Ich blickte in die Gesichter der beiden Genossen und dachte: Zwölf Jahre haben sie in Not und Gefahr ihrer Partei die Treue in de Bewusstsein gehalten, dass der Tag der Befreiung kommen wird. Wieviel Hoffnung haben die Genossen darauf gesetzt, an diesem Tag mit dabei sein zu können“.

Warum Paul Schiller heute noch gedenken?

„Ihr, meine Enkel, was hört ihr so stumm

die alten, die kalten Berichte?

Jetzt trampeln sie wieder auf euern Rechten herum –

erinnert euch meiner Geschichte!“

Aus Song: 3 Rote Pfiffe, Schmetterlinge

Auf der Veranstaltung gingen Redner*innen auch auf diese Frage ein. Sie nannten Gründe, warum seine Geschichte nicht zur staatsoffiziellen Erzählung geronnen ist. Mit Genoss*innen wie Paul Schiller konnte man keinen Staat machen. Anders als die Männer des 20. Juli, denen heute offiziell besonders gedacht wird, haben Schiller und seine Mitstreiter*innen ihren Kampf gegen den NS nicht erst begonnen, als klar war, dass dieser den Krieg verloren hat. Viele von ihnen wußten bereits vor 1933 „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“. Genau deshalb ist so wenig von den Mitgliedern der Kampfgruppe Osthafen bekannt, die unter Einsatz ihres Lebens mit dazu beitragen wollten, dass der NS besiegt wird. Es ist aber auch ein positives Zeichen, dass mit Menschen wie Paul Schiller eben kein Staat zumachen ist, wurde in einem Redebeitrag betont.

Seine und die Geschichte seiner Mitkämpfer*innen kann nur erzählt werden von sozialen Bewegungen, von linken Aktivist*innen, die hier und heute gegen die alle Formen von Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus aktiv sind, die in den kapitalistischen Zumutungen, denen wir heute ausgesetzt sind, nicht das Werk „böser Kapitalisten“ sondern das Wirken des kapitalistischen Wertgesetzes erkennen. Deshalb hatten die beiden Stadtinitiativen die Initiative für die Ehrung von Paul Schiller ergriffen und damit auch das Wirken der Kampfgruppe Osthafen wieder dem Dunkel der Geschichte entrissen. Sie wollen auch in den nächsten Jahren weiter dazu beitragen, diese Geschichte weiterzuschreiben. Zu den konkreten Forderungen gehört ein Gedenkort für Schiller und die antifaschistischen Kämpfer*innen der Kampfgruppe Osthafen und eine Korrektur der Daten auf dem Stolperstein von Paul Schiller. Zudem könnte weiteren Mitkämpfer*innen wie der Arbeiterin, Gewerkschaftlerin und Kommunistin Gertrud Lewke gedacht werden, die ebenfalls Teil der Kampfgruppe Osthafen war.

Peter Nowak