Rudolfplatz


Am 22. April erinnerten in Berlin-Friedrichshain Stadtteilinitiativen gemeinsam mit der VVN-BdA an die vergessenen Kämpfer*innen der Kampfgruppe Osthafen und schrieben so die Widerstandsgeschichte weiter

„Der Krieg was vorbei, da war Stille im Land,

da waren die Lautesten leis,

sie nahmen das Hitlerbild von der Wand,

ihre Westen, die wuschen sie weiß.“

Aus Song: 3 Rote Pfiffe, Schmetterlinge

Diese Stille im Land verschlang auch die wenigen Antifaschist*innen, die aus einer Position der absoluten Minderheit dabei halfen, den Nazikrieg in letzter Minute zu beenden. Dazu gehörte auch Paul Schiller. Für ihn organisierten am 22. April 2022 die VVN-BdA und die Stadtteilinitativen „Wir bleiben alle Friedrichshain“ und „Wem gehört der Laskerkiez?“ eine Gedenkveranstaltung und hoben ihn aus dem Dunkel der Geschichte. Es war einem Zufall zu verdanken, dass Mitglieder der Stadtteilinitiative auf einen Stolperstein stießen, den die „Verfolgten des Naziregime“ (VdN), der DDR-Organisation der Widerstandskämpfer*innen, am ehemaligen Wohnort von Paul Schiller in der Rochowstraße in Berlin-Friedrichshain gestalten ließen, allerdings mit einen falschen Datum. Dort wird seit Todestag irrtümlich um ein Jahr auf 1944 vorgelegt. Dabei wird das Entscheidende der Widerstandstätigkeit von Schiller und Genoss*innen verkannt, die in den letzten Tagen des NS-Regimes verhindern wollten, dass weitere Menschen sterben. Die Männer und Frauen, die vor allem Süden des Berliner Stadtteils Friedrichshain Ende April 1945, also vor 87 Jahren aktiv waren, nannten sich Kampfgruppe Osthafen, nach einem damals bekannten Hafengelände in dem proletarischen Gebiet. Sie setzte sich aus Mitgliedern der KPD, der SPD und Parteilosen zusammen, die im Nationalkomitees »Freies Deutschland« organisiert waren. Sie sprangen mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien und erhielten die Aufgabe, in der Reichshauptstadt wichtige militärische Objekte zu erkunden und Kontakte zur deutschen Widerstandsbewegung herzustellen, sowie Menschen, in letzter Minute zu überzeugen, die Seiten zu wechseln und nicht weiter für einen verbrecherischen Krieg ihr Leben zu lassen.

Deutsche Volksgemeinschaft bis zur letzten Minute

Doch sie trafen weiter auf ein Land, in dem die deutsche Volksgemeinschaft bis in die letzten Tage des NS-Regimes funktionierte. Daher waren sie sofort in großer Gefahr. Eine Gruppe, darunter der Sozialdemokrat Heinz Nawrot, geriet am 11. April 1945 in Lichtenberg in eine SS-Kontrolle und wurde in einem Feuergefecht am Weißenseer Weg völlig aufgerieben. Paul Lampe und Heinz Müller, Ende Februar 1945 mit einer Einsatzgruppe des Nationalkomitees »Freies Deutschland« illegal nach Berlin gekommen, organisierten im Stadtbezirk Friedrichshain die bewaffnete Kampfgruppe Osthafen, der rund 50 kommunistische und sozialdemokratische Genoss*innen sowie parteilose Antifaschist*inne angehörten. Von ihrem Stützpunkt in der Stralauer Allee 24 entwaffneten sie fanatische Nazis, überredeten deutsche Soldat*innen und Flakhelfer*innen dazu, die Waffen niederzulegen. Sie sprengten faschistische Munitionslager und verhinderten im letzten Augenblick die Zerstörung der großen Lebensmittelmagazine am Osthafen. Bei einer solchen Aktion ließen die Antifaschisten Fritz Fieber und Paul Schiller am 23. April 1945 ihr Leben. Darüber gab es in der DDR einen Bericht von einen der Überlebenden, der in dem 1975 im Dietz-Verlag veröffentlichten Buch „Kampftage in Berlin- Ein deutscher Antifaschist und Internationalist berichtet“ abgedruckt ist. Daraus wurde während der Gedenkveranstaltung Auszüge vorgelesen wurden. Sehr berührend beschreibt der Autor den Moment, als er vom Tod seiner beiden Mitstreiter erfuhr:

„Genosse Schiller lag leblos auf der Couch. Wir fühlten seinen Puls und bemühten uns, seinen Herzschlag zu hören. Vergeblich. … In diesen Minuten verspürte ich die Schwere der Verantwortung, die auf uns lastete, besonders deutlich. Ich blickte in die Gesichter der beiden Genossen und dachte: Zwölf Jahre haben sie in Not und Gefahr ihrer Partei die Treue in de Bewusstsein gehalten, dass der Tag der Befreiung kommen wird. Wieviel Hoffnung haben die Genossen darauf gesetzt, an diesem Tag mit dabei sein zu können“.

Warum Paul Schiller heute noch gedenken?

„Ihr, meine Enkel, was hört ihr so stumm

die alten, die kalten Berichte?

Jetzt trampeln sie wieder auf euern Rechten herum –

erinnert euch meiner Geschichte!“

Aus Song: 3 Rote Pfiffe, Schmetterlinge

Auf der Veranstaltung gingen Redner*innen auch auf diese Frage ein. Sie nannten Gründe, warum seine Geschichte nicht zur staatsoffiziellen Erzählung geronnen ist. Mit Genoss*innen wie Paul Schiller konnte man keinen Staat machen. Anders als die Männer des 20. Juli, denen heute offiziell besonders gedacht wird, haben Schiller und seine Mitstreiter*innen ihren Kampf gegen den NS nicht erst begonnen, als klar war, dass dieser den Krieg verloren hat. Viele von ihnen wußten bereits vor 1933 „Wer Hitler wählt, wählt Krieg“. Genau deshalb ist so wenig von den Mitgliedern der Kampfgruppe Osthafen bekannt, die unter Einsatz ihres Lebens mit dazu beitragen wollten, dass der NS besiegt wird. Es ist aber auch ein positives Zeichen, dass mit Menschen wie Paul Schiller eben kein Staat zumachen ist, wurde in einem Redebeitrag betont.

Seine und die Geschichte seiner Mitkämpfer*innen kann nur erzählt werden von sozialen Bewegungen, von linken Aktivist*innen, die hier und heute gegen die alle Formen von Faschismus, Nationalismus, Antisemitismus aktiv sind, die in den kapitalistischen Zumutungen, denen wir heute ausgesetzt sind, nicht das Werk „böser Kapitalisten“ sondern das Wirken des kapitalistischen Wertgesetzes erkennen. Deshalb hatten die beiden Stadtinitiativen die Initiative für die Ehrung von Paul Schiller ergriffen und damit auch das Wirken der Kampfgruppe Osthafen wieder dem Dunkel der Geschichte entrissen. Sie wollen auch in den nächsten Jahren weiter dazu beitragen, diese Geschichte weiterzuschreiben. Zu den konkreten Forderungen gehört ein Gedenkort für Schiller und die antifaschistischen Kämpfer*innen der Kampfgruppe Osthafen und eine Korrektur der Daten auf dem Stolperstein von Paul Schiller. Zudem könnte weiteren Mitkämpfer*innen wie der Arbeiterin, Gewerkschaftlerin und Kommunistin Gertrud Lewke gedacht werden, die ebenfalls Teil der Kampfgruppe Osthafen war.

Peter Nowak

Rudolfplatz


Der Laskerkiez in Friedrichshain war seit jeher ein klassisches Arbeiterviertel, in dem die Nazis es während des 2. Weltkriegs nicht leicht hatten. Hier leisteten auch Menschen aus unserem Kiez Widerstand gegen den Naziterror. Am 22. April wollen wir uns näher mit einer dieser Personen beschäftigen und ihm für seine mutigen Taten danken. Er musste seinen Widerstand mit dem Leben bezahlen.

Am 23.4.1945 erreicht die 1. Belorussische Front der Roten Armee den S-Bahn-Ring in Lichtenberg und rückt ins südliche Friedrichshain vor. Die Befreier müssen sich von Haus zu Haus den Weg frei schießen, denn immer noch kämpfen die überzeugten Nazis für die Hitler-Diktatur.
Das ist umso mehr Grund für uns, an die wenigen, die den Nazis Widerstand leisteten, zu erinnern und sie zu ehren: Einen Tag vor Ankunft der Roten Armee, am 22.4.1945 kommen Fritz Fieber und Paul Schiller, zwei Mitglieder des Kommunistischen Widerstands, in Friedrichshain durch Granatbeschuss durch die SS ums Leben.

Ihrer „Kampfgruppe Osthafen“ war es gelungen, Munitionsdepots, eine Telefonkabelanlage und einen bemannten SS-LKW zu sprengen. Sie trafen sich in den Kellerräumen von Paul Schiller am Osthafen.
Paul Schiller lebte in der Stralauer Allee, vor der Hausnummer 24 ist ein Stolperstein für ihn eingelassen. Sein Leben und sein Tod sind uns Mahnung, die Erinnerung daran soll uns Verantwortung sein. Wir möchten euch daher einladen, mit uns zusammen am 22.4.2022 gemeinsam diese Erinnerung zu begehen. Wir treffen uns am Rudolfplatz zum Gedenken an den antifaschistischen Widerstand und wollen anschließend zu seinem Stolperstein spazieren, um dort Blumen niederzulegen.

Gedenkkundgebung an Paul Schiller: 22.04.2022 – 18 Uhr – Rudolfplatz (10245)

Veranstaltet von „Wem gehört der Laskerkiez“, VVN-BdA, Wir bleiben alle F’hain